Maskenpflicht und Schmökerfrust

Schmökerfreude

Macht Schmökern immer noch Freude?

Vor ein paar Tagen war ich in einem Buchladen, um mir eine nette Lektüre fürs Wochenende zu kaufen, selbstverständlich bemasket und voller Vorfreude darauf, meinem Hobby frönen zu können, denn das Suchen und Kaufen eines Schmökers gehört bei mir mit zum Vergnügen des Lektüreerlebnisses! Normalerweise kann ich Stunden umgeben von Büchern verbringen, stöbern, das eventuelle Objekt der Begierde aus dem Regal herausnehmen, darin herumblättern, etwas schmökern, um es dann letztendlich wieder an seinen Platz zurückzustellen, um gleich darauf aber sofort einen seiner Kollegen in Augenschein zu nehmen. Diesmal war das Vergnügen allerdings getrübt, um nicht zu sagen, geradezu auf Null runtergefahren, einerseits bedingt durch mein eigenes Unwohlsein, nicht frei atmen zu können, andererseits durch die mich umgebenden Mitmenschen, die nicht auf physischen Abstand achteten, weil sie, ebenfalls die Büchertische und – regale umkreisend, geradezu selbstvergessen waren, fast auf Tuchfühlung – Alarm! Doch noch auf Amazon zurückgreifen?

Auch in unserer Stadtbibliothek, die am 18.05. unter Berücksichtigung der angesagten Hygienestandards wieder öffnen durfte, wird nun das lustvolle Erlebnis, sich ein Buch auszusuchen, zum pragmatischen Akt, möglichst schnell ins Gebäude reinzukommen, um in Folge möglichst zeitnah wieder rauszukommen. Auf ihrer Website kündigt die Stadtbibliothek Bielefeld an: „So können Sie wieder wie gewohnt in den Beständen stöbern, Medien ausleihen und zurückgeben, aber auch vorgemerkte Medien abholen“: „wie gewohnt“ dürfte sich in diesem Zusammenhang wohl nur auf den rein technischen Akt der Ausleihe beziehen.

Auch hier leidet das Vergnügen, sich im Kosmos der Bücherwelt zu bewegen, erheblich unter den Schutzvorschriften. Nichts mit Stöbern, nichts mit Schmökern!

Schmökern wird allgemein verstanden als das behagliche, vergnügliche Blättern und Lesen in einem Buch, einer Zeitschrift, einem Sammelband, einer Biografie u.a.: Hingabe, Genuss, Zeit- und Selbstvergessenheit sowie Unterhaltung sind feste Konnotationen zu dieser Beschäftigung.

Laut DWDS- Wortprofil sind typische Verbindungen, die im syntaktischen Kontext zu „Schmökern“ auftauchen: Band – Bett – Buch – Herzenslust – Ruhe – blättern – darin – durchschmökern – gerne – lieb – stundenlang – stöbern und – herumschmökern.

Betrachtet man die Korpusbelege auf DWDS aus der ZEIT ( 1946 – 2018) und dem Tagesspiegel (1996-2005 ), so treten in den Nachweisstellen präpositionale lokale Angaben auf wie: im Bett – in Sesseln versinkend – auf dem Sofa – am Rand eines tiefen Springbrunnens –  auf der Terrasse – im Schmöker-Paradies –  im Swimmingpool – in der Sonne liegend  und  – unter der Bettdecke.

Temporale Zuweisungen sind ebenfalls sehr appetitanregend, wie z.B. morgens beim Kaffee – endlos –  stundenlang  und – sich für Stunden festschmökern .

Auch die Art und Weise, das modale Wie, lassen denjenigen, der nicht gerne schmökert, irgendwie verlassen von Gott und der Welt zurück. Wer möchte nicht gerne –  lesesüchtig –  leidenschaftlich – gemütlich – fasziniert  – wie in Trance und in seliger Erinnerung schwelgend seine Zeit verbringen.

Das Verb schmökern dürfte meiner Einschätzung nach jedem Deutschlernenden unterhalb des B2.1 Niveaus nicht vertraut sein.

Schmökern macht Spaß

Schmökern macht Freude

Wie ist die Etymologie, die Entstehungsgeschichte dieses Verbs?

Laut der Gesellschaft für deutsche Sprache (DfdS) ist die Entstehung des Wortes wie folgt zu beschreiben: „Seinen Ursprung hat das Verb schmökern in dem Substantiv Schmöker, dessen Wortherkunft im Duden Herkunftswörterbuch (Band 7, 2007, S. 730) gefasst wird als umgangssprachlich »ursprünglich studentensprachliche Bezeichnung für ein altes, minderwertiges Buch«, die zuerst im 18. Jahrhundert als Schmöker, Schmöcher oder Schmaucher auftritt. »Sie gehört zum niederdeutschen Wort smöken rauchen (schmauchen)« und meint eigentlich wohl ein altes Buch, das der Student zum »Schmauchen benutzte, indem er sich einen Fidibus [= einen Papierstreifen] herausriss, um die Pfeife anzustecken«. Ein Fidibus ist ein Papierstreifen, ein Kienspan, der als Hilfe zum Anzünden einer Zigarre oder Pfeifentabaks diente. Man vermutet etymologisch hier eine scherzhafte Umdeutung eines Spruches von Horaz als Ursprung: so heißt es in Od. 1,36,1–3: „Et ture et fidibus iuvat placare … deos“ (Es erfreut, mit Weihrauch und Saitenspiel die Götter zu besänftigen.) Dabei sei als Studentenulk ture „mit Weihrauch“ als „Tabaksqualm“ und fidibus „mit Saitenspiel“ als „Pfeifenanzünder“ umgedeutet worden. Das Deutsche Wörterbuch vermutet in dem Wort „Fidibus eine Abwandlung von französisch fil de bois „Faden aus Holz“.

Den meisten von uns ist das Wort „Fidibus“ wohl noch von Kindergeburtstagen bekannt, wenn der Zauberer sein Kunststück mit den Worten „Hokuspokusfidibus…!“ einleitete.

Der Herkunftsbeleg geht also in eine Richtung, nämlich das »Schmauchen/Schmökern“ mit herausgerissenen und verbrannten Buchseiten.

In welchen Sätzen kommt nun im Deutschen das Verb „Schmökern“ vor. Wikipedia gibt dazu eine kleine Übersicht :

– Am Sonntag könnte ich den ganzen Tag in alten Büchern schmökern.
– Einen Ohrensessel, einen Tee, einen Krimi: mehr brauche ich nicht, um am Abend mal zu schmökern.
– Im Herbst kann man es sich wunderbar im Lesesessel gemütlich machen und schmökern […].
– Viele nutzen die Urlaubstage, um ausgiebig in einem guten Buch zu schmökern.
– Und weil er nicht gestorben ist, können wir uns zu seinem 200. Geburtstag ein herrlich altmodisches Buch schenken und schmökern bis an unser seliges Ende.
– Sie spielte Polo, blies auf Jadeflöten oder schmökerte in der Palastbücherei.
– […] Jens-Peter schmökert in Frederick Forsyth‘ neuem Thriller.
und [… er] schmökerte schon immer gern in Kriminalromanen […].

Warum habe ich überhaupt über das Schmökern nachgedacht? Weil es mich gerade bewegt, weil es in öffentlichen Räumen  aufgrund diverser Hygienestandards und -vorschriften nicht mehr so möglich ist, wie ich es kenne, und das macht mich traurig. Aber auch im privaten Raum, was heißt Zuhause, daheim, fällt es mir zurzeit sehr schwer, mich in eine Lektüre zu vertiefen, da meine Gedanken und somit meine Konzentrationsfähigkeit von zu viel anderem absorbiert sind. Von daher : Maskenpflicht und Schmökerfrust!

CC BY-NC-ND 4.0 Maskenpflicht und Schmökerfrust von Dr. Barbara Kling ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 4.0 international.